Preis für Innovation und fortschrittliches Engagement in Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie

Wir haben den Preis für Innovation und fortschrittliches Engagement in Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie gewonnen und freuen uns sehr darüber.

Hier können sie unsere Antworten auf die Juryfragen lesen


Darstellung der Sozialtherapeutischen Einrichtung in Ekebergkrug (StEEg)


Welche Ziele verfolgt das Projekt?

Die Einrichtung will für die ihr anvertrauten Menschen unmittelbar heilsame Lebensbedingungen schaffen.

Zu diesen Lebensbedingungen zählen offene, große, lichte und mit Naturmaterialien eingerichtete Räume. Umgeben von malerischen Gärten für den Anbau von Gemüse, Obst und Blumen – wo gemeinsam gearbeitet, gespielt, Sport getrieben, ausgeruht und gefeiert wird. Die Gärten liegen um das sog. Kernhaus herum, ohne Zäune, mitten im Dorf. Von allen Seiten können die Menschen auf dem Grundstück ein und ausgehen. Diese ‚Normalität‘ begünstigt einen normalen, menschlichen Umgang miteinander und vielfältige Kontakte. Besucher wie Angehörige, Nachbarn, Freunde und Bekannte kommen gern und teilweise schon über Jahrzehnte. Es sind keine Krankenbesuche oder Pflichttermine, bei denen Blumen gebracht und eine Mischung aus Schuldgefühl, Scham und Verunsicherung mitgenommen werden. Es fühlt sich wie ein Besuch bei Freunden an – jede*r kommt, bringt etwas ein und verabschiedet sich bereichert und erfreut (s. Anlage 3).

Die fünfzehn Menschen der Sozialtherapeutischen Einrichtung StEEg leben nicht in einem Heim. Sie wohnen in verschiedenen Häusern – Familienpflegestellen und Gruppenhaus – in umliegenden Dörfern und Gemeinden (s. Anlage 2, S 110-112 und Anlage 4). Sie kommen werktäglich zusammen im Kernhaus in Ekebergkrug. Dort werden alle Tätigkeiten mit Ihnen gemeinsam besprochen und geplant. Zur pädagogischen Arbeit gehören zwei Bereiche, der lebenspraktische zur Einübung von Alltagsverrichtungen (wie Kochen, Einkaufen, Aufräumen und Reinigen der Räume und Bestellung des Gartens) und der künstlerische (mit Theater, Musik, Tanzen, Malen, Töpfern und Tischlern).
Die Betreuten sind auch außerhalb der Einrichtung aktiv. So sind sie z.B. Mitglieder im ortsansässigen Sportverein, sie spielen in gemeindlichen Musikgruppen (Feuerwehr-Kapelle), besuchen Nachbarn und Bekannte, trinken Kaffee mit ihnen, unternehmen zusammen Ausflüge und helfen einander. Sie haben als Individuen – und nicht nur als Gruppe – vielfältige Kontaktpunkte. Ihre Teilhabe ist so viel mehr als die Fahrt im Bus vom Wohnheim zur Werkstatt.

Zur Arbeit der Sozialtherapeutischen Einrichtung StEEg gehört auch der ständige und auf vielen Ebenen stattfindende Diskurs um die Frage: Wieso? Welche Bedingungen haben es ermöglicht, Menschen mit seelischen und geistigen Beeinträchtigungen diesem Leid auszusetzen? Wieso gaukeln wir ‚Teilhabe‘ an so vielen Stellen vor, statt sie tatsächlich zu leben? Wieso sehen wir nicht genau hin? Was müssen wir als Gesellschaft lernen und verändern, damit die Menschen, unabhängig vom Grad der Beeinträchtigung des Anderen, sich diesem zuwenden und ihn wirklich annehmen?

Die Sozialtherapeutische Einrichtung StEEg verfolgt dieses Ziel vehement. Immer wieder leistet sie intensive Überzeugungsarbeit in dem Sinne, wie es zum Beispiel auch der Neurobiologe Dr. Gerald Hüther postuliert. Er spricht von einer Haltung des Menschen zu sich selbst, den anderen und der Umwelt, als die Summe von Erfahrungen. Und: Wenn wir wollen, dass sich die Haltung von Menschen ändert, müssen wir sie einladen andere Erfahrungen zu machen.
Die Sozialtherapeutische Einrichtung in Ekebergkrug ist ein Ort, der Menschen – mit und ohne geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen – einlädt andere Erfahrungen zu machen. Wo Menschen einander begegnen können, weil die geschaffenen Lebensbedingungen und das danach genau ausgerichtete Konzept dieses ermöglichen.

Wie und mit welchen Mitteln und Methoden soll das Projektziel erreicht werden?
Zunächst so, wie unter dem Punkt ‚Ziele‘ bereits beschrieben ist.
Mittel und Methoden ergeben sich zuerst aus dem, was mit Begegnung gemeint ist, wie sie im Elend der Psychiatrie glasklar erlebt wurde (s. Anlage 2, S. 56-58). Dann aus dem, was wir unter Integration verstehen: Kein Heim, keine große Einrichtung, sondern verschiedene kleinste Gruppen was vielfältige und tägliche Außenkontakte ermöglichen (s. Anlage 2, S. 110-112). Zuletzt aus dem, was wir Freiheit nennen, die bewusste Wahl (der Rechtsform) eines gemeinnützigen Vereins statt eines privaten Gewerbes und die Unabhängigkeit von einem großen Verwaltungsapparat.

Wir erreichen die Projektziele mit einer danach ausgerichteten pädagogischen Arbeit (s. Antwort Punkt ‚Ziele‘) sowie mit fachlichem Austausch mit unterschiedlichen Menschen und Institutionen. Wir können Modell und Vorbild sein und immer ‚besehen‘ werden. Wir haben eine große Bereitschaft unsere Einrichtung zu zeigen und über sie zu sprechen (s. Anlage 6).
Diese Bewerbung ist ein erneuter Versuch, eine tiefgreifende Diskussion und gesellschaftliche Entwicklung zu entfachen.

Welche fachlichen Annahmen und/oder Erfahrungen liegen dem Projekt zugrunde?

Dem Projekt zugrunde liegt zunächst eine starke Prägung in der Kindheit von Erika Fürst (biografisches Lernen, s. Anlage 2, S.64-70). Dazu gehören erste Lebensjahre im Zusammenleben mit Kriegsflüchtlingen und einem beeinträchtigtem Menschen im Elternhaus. Offene, gelebte christliche Erziehung, starke Naturverbundenheit, gesunde Lebensweise (Reformküche), tägliche Musikerlebnisse, Bildung durch Literatur, vielseitige Gespräche und Besucher*innen. Daraus entwickelte sich ein Menschenbild, das dann später im krassesten Wiederspruch zur menschenverachtenden Psychiatrie stand. Diese Gegensätze machen die gemeinsame Betroffenheit von Betreuten und Erika Fürst aus und es geschah Begegnung.
Die fachlichen Ausbildungen und Erkenntnisse aus dem sozialen- und heilpädagogischen Bereich und die in der eigenen Kindheit als heilsam und fördernd erlebten und erkannten Lebensbedingungen waren und sind der Antrieb von Erika Fürst, diese übersetze sie in pädagogische Handlungen.

Wie werden die Umsetzung des Konzepts und die Ergebnisse evaluiert?

Zuerst achten wir auf die Betreuten selbst, auf ihr Aussehen, auf ihren Gesundheitszustand (physisch und psychisch), auf ihr Verhalten, auf ihre Äußerungen verschiedenster Art. Evaluiert wird auch durch das Aufzeigen fortschrittlichen Lernens der Betreuten, durch tägliche kürzere Gespräche mit ihnen und längere in den regelmäßig dafür anberaumten Zeiten.
Eine Evaluation findet zusätzlich in hohem Maße durch die Wirkung all dessen statt, was bei uns ist und was wir sind. Diese Wirkung und die aus ihr gewonnenen Erkenntnisse, die fast täglich geäußert werden, ist oftmals verblüffend, besonders wenn Menschen von außen mit uns darüber sprechen. Die Wirkung entfaltet sich vor allem bei unseren verschiedenen kleineren und zwei großen öffentlichen Festen (Sommerfest und Adventstreffen, s. Anlage 6 d,f,g,h und Anlage 2, S. 113-117) – und in Briefen.

Wie die Menschen von außen an der Evaluation teilnehmen durch Beobachtungen, Hinweise und Ratschläge, wirkt auch der Trägerverein „Verein zur Förderung heilpädagogischer Pflegestellen in Schleswig-Holstein e.V.“ mit seinen Mitgliedern an der Arbeit der Einrichtung mit. Er verbürgt ihren Status, die Gemeinnützigkeit und die Zwecksetzung. Er ist die nächste Öffentlichkeit, durch die Verantwortung und Willensbildung verbreitert, Gemeindenähe und Fach-Qualität der Einrichtung verkörpert werden (s. Anlage 6 a).
Der Verein ist Mitglied im Forum Sozial e. V., Kiel.

Wer profitiert von dem Projekt?

Unmittelbar profitieren die 15 Betreuten. Darunter acht Erwachsene, die als Jugendliche in den 60er/70er Jahren im Landeskrankenhaus in Schleswig Leid und Unrecht direkt erfahren haben. Sie besonders hatten und haben die Möglichkeit in einer in jeder Hinsicht anderen Umgebung als die des LKHs Leid und Unrecht auszugleichen und zu verarbeiten, so gut es überhaupt möglich ist.

Ebenso profitieren alle Mitarbeiter, Angehörige und Besucher, kurz alle Menschen, die mit der Einrichtung zu tun haben von dem Projekt. In Briefen, E-Mails und Glückwunschkarten teilen sie uns ihre Bereicherung durch neue Erfahrungen und Begegnungen mit. So wirkt die Sozialtherapeutische Einrichtung auch als Impulsgeber für die Gesellschaft – als Vorbild und offener Erlebnisraum.

Wie werden Kinder- und Jugendliche an dem Projekt beteiligt?

Bei uns spielt das Selbständigkeitsprinzip eine große Rolle. Wir setzen es seit Jahrzehnten konsequent um. Die Menschen sind in fast alle Tätigkeiten, die das Projekt betreffen, eingebunden. So haben die 12 Kinder und Jugendlichen schon 1975 bei der Gründung der ‚Station E3‘ mit den Erzieher*innen gemeinsam die Räume (Abstellkammern unterm Dach) zu gemütlichem Wohnen hergerichtet und das Konzept mit entwickelt.
Sie haben sich zum Beispiel die Handwerksbetriebe in der Stadt, die ihre Arbeitsstätten werden sollten, mitangesehen und für ihre Freizeitgestaltung mögliche Jugendgruppen. Sie haben immer mitentschieden – bis heute. Inzwischen sind aus den Kindern und Jugendlichen der ‚Station E3‘ erwachsene Menschen geworden. Oft sind wir erstaunt, welche kreativen Ideen und Lösungen sie für sich entwickeln und umsetzen.

Wo wird das Projekt umgesetzt?

Mitten in den verschiedenen Dörfern im ländlichen Raum, in einem Gruppenhaus in Schnarup-Thumby und konzentriert im ‚Kernhaus‘ in Ekebergkrug (s. Anlage 6 c).
Darüber hinaus werden die Ziele des Projektes auch überall dort umgesetzt, wo die eingangs beschriebene Haltung, Einstellung und Erkenntnis – nach gemachten Erfahrungen in der sozialtherapeutischen Einrichtung – zum Ausdruck kommt.

Welche Zeitschiene liegt dem Projekt zugrunde?

1973 nahm Erika Fürst vier Jugendliche (im Alter von 14-18 Jahren) für vier
Ferienwochen in ihrem Haus in Ekebergkrug auf. Das war in 150 Jahren LKH-Geschichte die erste Urlaubsmaßnahme.
1973 begann die Arbeit auf der Station H2 auf dem Hesterberg.
1975 folgte die Gründung ‚Station E3‘ im Landeskrankenhaus Schleswig.
1977 Gründung von drei Familien-Pflegestellen (Erika Fürst und zwei Kolleginnen),
und vier weiteren im Laufe der nächsten fünf Jahre.
1982 wurde der Verein zur Förderung heilpädagogischer Pflegestellen in Schleswig-
Holstein e. V. von Pädagog*innen und Familienangehörigen gegründet.
1987 wurde der Verein Träger der Sozialtherapeutischen Einrichtung (StEEg).

Das Projekt ist seither in ständiger Entwicklung – ohne Abweichung von den vorgenannten Grundeinstellungen – nunmehr seit fast 50 Jahren.

Wie ist der Umsetzungsstand?

Von der Gründung der ‚Station E3‘ bis zur heutigen Sozialtherapeutischen Einrichtung StEEg sind 45 Jahre vergangen. Das Projekt ist dennoch nicht abgeschlossen.
Die aktuelle Debatte und Aufarbeitung macht die Relevanz unserer Arbeit einmal mehr sichtbar. Wir wünschen uns endlich eine vertiefte Debatte mit den Betroffenen und der Öffentlichkeit (wie z.B. im November 2018 im Landeshaus SH) – auch darüber, wie wir als Gesellschaft gemeinsame Lebensbedingungen gestalten müssen, damit derart menschenunwürdige Zustände nie wieder eintreten können. Das verstehen wir als Verantwortung für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Was kostet das Projekt, wie wird es finanziert?

Träger der Sozialtherapeutischen Einrichtung Ekebergkrug ist der Verein zur Förderung heilpädagogischer Pflegestellen in Schleswig-Holstein e. V..
Die Einrichtung hat nach den Bundes- und Landesgesetzen Vereinbarungen abgeschlossen (SGB XII, Landesrahmenvertrag Schleswig-Holstein, Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen).

Wofür würde das Preisgeld eingesetzt?

Tatsächlich verbinden wir mit dieser Bewerbung zuallererst den Wunsch nach Wahrnehmung. Es gibt seit Jahrzehnten eine Einrichtung, die nachweislich heilsam und fördernd mit Menschen mit geistigen und seelischen Beeinträchtigungen lebt!

Sollten Sie uns einen Preis zusprechen wollen, werden wir das Geld in die wissenschaftliche Erforschung und Aufarbeitung der in der Einrichtung vorhandenen Zeitzeugen und Dokumente (Berichte, Briefe, Zeugnisse, Akten) investieren. Von der Analyse durch Dritte (z.B. Experten von Fachhochschulen oder Hochschulen) und einer Publikation der Ergebnisse erhoffen wir uns weitere, durchdringende Impulse für die gesellschaftliche Auseinandersetzung.